Montag, 23. August 2010

Selektiver Umgang mit den Daten über ausländische Direktinvestitionen (ADI)

Laut Walter Listl war der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen 2008 mit 16205 Mrd. US-Dollar zehnmal so hoch wie 1990. Laut UNCTAD betrug er 2087 Mrd. im Jahr 1990 und 16207 Mrd. im Jahr 2008, war also ungefähr 7,7 mal so hoch wie 1990. Doch sagen solche absoluten Zahlen wenig über eine Zunahme des Verflechtungsgrades der Volkswirtschaften aus. Das absolute Wachstum könnte einem höheren Welt-BIP zuzuschreiben sein.
Gerade um den Verflechtungsgrad geht es aber bei W. Listl, der mit seinen Zahlen einen „qualitativen Sprung der Internationalisierung des Kapitals, seiner globalen Struktur” nachweisen will. Über den Verflechtungsgrad gibt jedoch nicht die absolute Zunahme der Bestände an ausländischen Direktinvestitionen Aufschluß, sondern die Zunahme ihres Anteils am ebenfalls wachsenden BIP der Welt.
Der prozentuale Anteil aller Bestände an ausländischen Direktinvestitionen am Welt-BIP betrug 1990 zehn Prozent, 2008 betrug er 26,8%. Er wuchs also von 1990 bis 2008 um 168% auf das 2,7-fache.1 Das ist nicht wenig, ist aber doch weit entfernt von der Größenordnung des Zehnfachen.
Außerdem gingen 1990 mit 108 Ländern die Daten von weniger Ländern in die Erhebung ein als 2008 mit 151 Ländern, vor allem wegen der erst nach 1990 für das Kapital erschlossenen Länder Osteuropas. Die Erhebung der Daten erfolgt erst seit 1990, so dass es für frühere Jahrzehnte keine Vergleichsdaten gibt. Der Wert von 26,8% ist ein Durchschnittswert, in den so unterschiedliche Länder wie Liberia mit 479% Auslandsvermögen gemessen an seinem BIP, Luxemburg mit 148%, Bulgarien mir 2% und Ungarn mit 137% eingingen, was schwer über einen Leisten zu schlagen ist.
Ein Vergleich zwischen den großen imperialistischen Ländern dürfte aufschlußreicher sein. Gezeigt wird der Anteil der eigenen Bestände an Direktinvestitionen im Ausland (out) ebenso wie der von Auslandskapital im Inland (in) jeweils in Prozent des BIP nach der Tabelle der UNCTAD:
Land 1990 out 2008 out
+
+%
1990 in 2008 in
+
+%
USA 12,6 21,8 9,2 73% 9,3 17,9 8,6 92%
Großbritannien 23,1 57,5 34,4 149% 20,6 36,8 16,2 78%
Frankreich 9 45,9 36,9 410% 7,9 32,3 24,4 309%
Deutschland 8,8 36 27,2 309% 6,5 18,2 11,7 180%
Japan 6,7 13,9 7,2 107% 0,3 4,2 3,9 1300%
Durchschnitt der 5 12 35 23 191,66% 8,9 21,8 11,9 134%
Datenquelle: World Investment Report der UNCTAD (WIR)2010, Anhänge, Tabellen 7 und 8 (annex table 7 + annex table 8)
Bei den 5 Ländern zeigt sich ein sehr ungleichmäßiges Bild. Der durchschnittliche Zuwachs im Verflechtungsgrad dieser 5 Länder mit dem Ausland ist mit 191,7% größer als im Durchschnitt der Welt mit 168%. Bei ausländischen Direktinvestitionen im Inland ist er mit 134% jedoch deutlich geringer als im Durchschnitt der Welt. Das deutet darauf hin, dass die Expansion der TNKs dieser 5 Länder in andere Länder größer ist als das Eindringen der TNKs anderer Länder in diese 5.
Dabei ist die Ausgangsposition der 5 Länder 1990 höchst unterschiedlich. Unterschiedlich sind ebenso Tempo und Ausmaß der Zunahme ihres Verflechtungsgrads mit anderen Volkswirtschaften. Bei den DI im Ausland ist der Zuwachs im Verflechtungsgrad am geringsten bei den USA und Japan, wo er weit unter dem weltweiten Durchschnitt liegt. Bei den DI im Inland ist der Zuwachs am geringsten bei den USA und Großbritannien. Bei Großbritannien war jedoch 1990 die Ausgangsposition in der Verflechtung schon etwa doppelt so hoch wie bei den anderen Ländern. Umgekehrt hat der extreme Zuwachs an Verflechtung bei den inländischen DI in Japan seine Ursache in der extrem niedrigen Ausgangsposition von 0,3% im Jahr 1990. Da die entsprechende Zahl 2008 noch immer niedrig ist (3,9%), spielt Japans Zuwachs für die Gesamttendenz der 5 Länder kaum eine Rolle.
Weltwirtschaftlich am stärksten verflochten sind Großbritannien und Frankreich. Die BRD hat durch starke Zuwächse, vor allem im Ausland, zu den USA aufgeschlossen und sie im Verflechtungsgrad leicht übertroffen. Diese „Überholspur” hängt mit dem größeren US-BIP zusammen, aber auch damit, dass TNKs mit kleineren Heimatmärkten stärker auf Expansion im Ausland angewiesen sind als TNKs mit großem Heimatmarkt (Beispiel: Siemens und GE). Dabei hat die BRD aber noch längst nicht den Verflechtungsgrad erreicht, den Großbritannien und Frankreich besitzen. Bei den ADI-Beständen im Inland ist sie nicht einmal auf dem Niveau, das Großbritannien bereits 1990 hatte. Die bei weitem größten Zuwächse im Verflechtungsgrad verzeichnet Frankreich mit hohem Zuwachs bei den inländischen und ausländischen Beständen. Ihm folgt die BRD, deren ausländische Bestände doppelt so hoch sind wie die inländischen. Hier dürften die Exportüberschüsse als wachsende Potenz bei den Kapitalexporten wirksam geworden sein.
Vergleicht man die Ziffern für Japan, als das 1990 am wenigsten verflochtene Land mit denen für Großbritannien, als das 1990 am stärksten verflochtene Land, so stieg der Verflechtungsgrad bei beiden bis 2008. Doch änderte sich dadurch weder die Rangfolge im Ausmaß der Verflechtung noch der große Abstand zwischen beiden Ländern. Auch 2008 ist Großbritannien das am stärksten und Japan das am wenigsten verflochtene Land der fünf. Bei den DI im Ausland betragen die Bestände Großbritanniens 57,5% des BIP, die Japans 13,9%. Bei den Beständen ausländischer Investoren im Inland sind es bei Großbritannien 36,8% des BIP, bei Japan 4,9%.
Es macht wenig Sinn im Hinblick auf die großen Unterschiede im Verflechtungsgrad dieser beiden Länder von einer „globalen Struktur” der Internationalisierung des Kapitals zu reden. Offenbar spielen für die Art und Weise der Internationalisierung viele Faktoren eine Rolle, darunter geografische Bedingungen, historische Traditionen, Zugang zu Märkten und Rohstoffen, Bevölkerungswachstum sowie die politischen und Klassenverhältnisse.
1Das gilt für die Bestände im jeweiligen Ausland. Die Bestände von Auslandskapital im jeweiligen Inland weichen davon leicht ab. Hier stieg der Verflechtungsgrad 1990-2008 von 9,8 auf 25,4% (um ca. 160%).

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