Montag, 30. August 2010

Und die Staaten?

Und die Staaten?
Ein Fall von schematischer Ableitung liegt vor, wenn Veränderungen der Rolle der Nationalstaaten allein aus den TNKs und der Internationalisierung des kooperativen Arbeitsprozesses erklärt werden. So, wenn W. Listl den Nationalstaaten nur noch die Rolle zuweist, „um die günstigsten Standorte für die TNKs zu konkurrieren”. Noch deutlicher sind die „Thesen des Sekretariats”: „In der Krise verschärft sich der Konkurrenzkampf der Staaten untereinander, um dem Kapital den besten Investitionsstandort zu bieten.” (Thesen, S. 12).
Natürlich konkurrieren die Staaten auch als Standorte, aber nicht nur. Sie sind zugleich Verstärker der national basierten Monopole.
Monopole entstehen nicht aus dem Nichts. Sie sind aus der Konkurrenz erwachsen und müssen sich im Milieu der Konkurrenz behaupten. Dabei verzichten sie nicht auf die Hilfe ihrer Nationalstaaten, weder im Heimatmarkt und erst recht nicht auf der internationalen Bühne. Bereist Kanzlerin Merkel je China oder die Golfstaaten ohne die Konzernchefs im Troß? Ein großer Teil der heutigen TNKs wurde für die Weltmarktkonkurrenz erst fit gemacht durch umfangreiche Privatisierungen (zum Beispiel in den Bereichen Telekommunikation, Logistik, Energiewirtschaft) und durch die Aufkündigung von früher eingegangenen Klassenkompromissen. Das ging nur mit der Hilfe der Staaten.
Zwischenmonopolistische Weltmarktkonkurrenz spielt sich bevorzugt auf den größten Märkten ab: Die Öffnung (Deregulierung) der Heimatmärkte nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) erfolgte durch multilaterale und bilaterale staatliche Abkommen. Staatliche Wettbewerbsbehörden fungieren als Schiedsrichter bei der Aufteilung der Märkte zwischen den Monopolen. In den großen Staaten sind die Monopolstellungen der eigenen Konzerne durch die Öffnung der Heimatmärkte aber nicht bedroht. Die Öffnung geht (in Form von Rabattschlachten und Kostendruck) primär zu Lasten der Beschäftigten. Die Öffnung forciert die „Modernisierung” der heimischen Monopole, ist eine „Frischluftkur” gegen die Stagnationstendenz. Dies pflegt die neoliberale Presse zu bejubeln, besonders, wenn es dabei um die Privatisierung früherer Staatsmonopole geht.
Die marxistische Staatstheorie ist sehr viel komplexer als es in den „Thesen” und in W. Listls „Ableitung” aus der „TNK-Struktur” erscheint. Die marxistische Theorie des bürgerlichen Staates muss zumindest vier Aspekten Rechnung tragen: 1) der bürgerliche Staat ist ideeller Gesamtkapitalist, 2) er ist Instrument der Klassenherrschaft, 3) er ist Verdichtung von Kräfteverhältnissen. In diesen drei Aspekten spiegeln sich widersprüchliche Interessen: Die Kapitalisten haben keine einheitlichen, sondern konkurrierende Interessen und die Klassenherrschaft der Bourgeoisie kann nur gesichert werden, wenn dabei auch den Kräfteverhältnissen im Klassenkampf Rechnung getragen und nach dem Prinzip „Teile und herrsche!” ein Teil der Beherrschten integriert wird. Aus den Widersprüchen folgt: 4) eine relative Selbständigkeit des Staates.
Wenn W. Listl meint, „die internationale Verflechtung des Kapitals wird zur politikbestimmenden Tendenz”, dann betrachtet er lediglich das Kapital als „automatisches Subjekt”; herrschende Klassen wie auch die Verdichtung von Kräfteverhältnissen innerhalb der Staaten bleiben ausgeblendet. Konkret historisch gibt es jedoch keinen Kapitalismus ohne die beiden Hauptklassen, Kapitalisten und Lohnarbeiter. Deren Strukturveränderungen müssen Gegenstand einer konkreten Klassenanalyse sein, aber als Klassen werden sie nicht verschwinden, solange ihre soziale Rekrutierungsbasis im Zuge der Kapitalverwertung stets aufs neue reproduziert wird. Sie gehören zu den Bedingungen der Reproduktion des Kapitals. Das gilt aber auch für die Staaten, mit ihrer Funktion, „die Hegemonie der herrschenden Klasse durch Konsens und Zwang herzustellen”, und zwar als „Herrschaftsinstrument und Feld des Klassenkampfes zugleich.” (Programm der DKP, S.10)


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