Dienstag, 13. Dezember 2011

Hans Heinz Holz ist gestorben

Unser Genosse und Autor, der über die Grenzen unseres Landes hinaus als Politiker und Philosoph berühmte Professor Dr. Hans Heinz Holz, ist, wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag, nach schwerer Krankheit gestorben. Der Urtext zu diesem jetzigen Ausdruck unserer Trauer war eine Würdigung des Wirkens von Hans Heinz Holz, gedacht zu seinem 85. Geburtstag, den wir jetzt nicht mehr erleben können. Ich werde aber an diesem Abschiedswort über ihn nichts ändern, denn was er geschaffen hat, war zu würdigen und daran ändert der Tod nichts.
Wir sind uns dessen sicher, sein Werk wird weiter wirken. Und allen Genossinnen und Genossen, aber auch manchem, der uns gar nicht so nahe stand, werden sein Temperament, seine Bücher und Vorträge – die alles andere als professorenhaft waren – im Gedächtnis bleiben. Sie werden sich dankbar oder – die uns ferner standen und stehen – wenigstens achtungsvoll seiner erinnern. Wir aber, seine Genossinnen und Genossen, haben von ihm gelernt und sind in der Pflicht, das Gelernte weiter zu vermitteln.
Der 26. Februar 2012 sollte ein Grund sein, Hans Heinz’ 85. Geburtstag zu feiern. Wir waren uns nicht sicher, ob es zur Feier werde kommen können, denn wir wussten um seinen prekären Gesundheitszustand, doch hofften wir und bereiteten uns auf die Feier vor – die nun seine Totenfeier werden muss.
Liebe Silvia, wir stehen in der sehr langen Reihe derer, die Dir das Beileid aussprechen und Hans Heinz das letzte Geleit geben wollen. Du hast lange am Krankenbett von Hans Heinz mitgelitten. Es waren dies wohl die schwersten Jahre Deines Lebens. Worte der Trauer wirst Du empfangen, aber wir wissen auch, sie können nicht wirklich trösten und die übliche Rede, die Zeit heile alles, ist nur ein billiger Trost. Wir können und müssen mehr über Hans Heinz sagen.
Ich bin in dieser Reihe der Trauernden wohl derjenige, der Hans Heinz am längsten kannte. Wir kommen aus der selben Stadt, haben am selben Tag an der selben Universität zu studieren begonnen, haben manchen Strauß mit anderen, aber auch miteinander ausgefochten.
So denke ich über die Jahre nach, in denen auch ich auf verschiedenste Art politisch und philosophisch von ihm „profitieren“ konnte – und wofür ich dankbar bin.
Marxist, Kommunist zu werden war Hans Heinz nicht in die Wiege gelegt, ihm, dem Sohn eines Diplom-Ingenieurs. Er ging aufs Gymnasium, machte Abitur. Und da war sie dann auch zur Stelle, die Politik und das war vor der Philosophie. Antifaschistisch hat er gearbeitet und geriet – siebzehnjährig – in die Fänge der Gestapo. Da hatte er zwei Mal Glück: sein erstes Glück bedeutete Unglück für die Druckerei und den Drucker, dessen Material er unter die Leute gebracht hatte, denn Drucker und Druckerei starben im Bombenhagel, der die materiellen Beweise vernichtete, die man
gegen Hans Heinz suchte. Und das zweite Glück? Sie schleppten ihn nicht ins KZ, wie das damals üblich war, sondern ließen den jungen Burschen nach monatelanger Haft laufen, es war ihm nichts nachzuweisen.
Dann hat er in Mainz Philosophie studiert, doch auch da war gleich wieder die Politik zur Stelle in Gestalt des Professors Bollnow, der ein ebenso eingefleischter Heideggerianer wie politischer Konservativer – um es nicht schärfer zu formulierten – war. Die Konflikte waren also vorprogrammiert und sie kamen auch. Was blieb ihm übrig, der zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Bücher – das eine über Sartre, der damals im Westen hoch im Schwange war – veröffentlicht hatte, als den Ort zu wechseln: er ging nach Leipzig, wo Ernst Bloch wirkte. Dort wurde er Mitherausgeber der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“, deren geistiger Kopf Wolfgang Harich war, der aber, wenn nicht gar die Welt, so wenigstens die DDR retten wollte und darüber sich ernste politische Probleme
einheimste. Die sich dann auch auf Hans Heinz auswirkten: seine bereits eingereichte Dissertation wurde von der Universität Leipzig nicht mehr bearbeitet.
Wie man sieht, da ging es nicht nur um die Philosophie, die Politik hatte auch immer die Hände mit im Spiel. Als dann Ernst Bloch sich 1961 in den Westen absetzte (ohne zum Renegaten zu werden, genau so verhielt es sich ja dann bei unserem gemeinsamen Freund Hans Mayer) – folgte er Bloch. Dann konnte er später, auch indem sich unser Genosse Alfred Kosing, der damals in Leipzig Dekan war, einschaltete, doch noch seine Promotion in Leipzig abschließen.
Die folgenden Jahre füllte er durch journalistische Tätigkeit aus: Für die „Deutsche Woche“, die „Frankfurter Rundschau“, die Basler „Nationalzeitung“, die „Frankfurter Allgemeine“, das Nachtstudio des Hessischen Rundfunks. Aber es ging nicht nur um Politisches, sondern Hans Heinz hat gründlich das Feld der Kunst- und Kulturkritik beackert – daraus wurden Werke!
Einschneidend in seine Biografie, aber nicht nur für diese, war dann der Kampf um seine Berufung als Professor in Marburg. Ein Marxist, Professor, auch noch für Philosophie und in Marburg. Unvorstellbar. Das erschien den Konservativen und Reaktionären schon als Vorbote des Weltuntergangs.
Also wieder war die Politik zur Stelle! Die Auseinandersetzung fiel mitten hinein in die 68er-Entwicklungen und wurde, gerade auch durch breiten Protest gegen konservative Kräfte, durchgesetzt.
Und die Politik blieb zur Stelle! Schrieb er zur Sprachtheorie und ging dabei auch auf Arbeiten Stalins ein, läuteten die Glocken des Antikommunismus heftig, genauso, als er, zum Anarchismus schreibend, sich auch auf Lenin bezog. Aber ganz schlimm wurde es, als er sich in der tiefen Krise des Sozialismus 1989/90 öffentlich, insbesondere publizistisch, an die Seite der DKP stellte.
Von da an haben sich viele, die ihm vorher noch wenigstens halbwegs beistanden, etwa Rezensionen zu Arbeiten von ihm schrieben, abgewandt. Das waren jedoch „Rechte“. Im Vorfeld seines 85. Geburtstags meldeten sich auch Ultralinke gegen ihn zu Wort, eine seltsame „Einheitsfront“! Ihre Wortführer – beachtet man Ton und Inhalt der Wortmeldungen – sind Leute, die unserer Partei den Teufel an den Hals wünschen und darum ihm, dem Mitgestalter des DKP-Parteiprogramms, zutiefst feindlich gesonnen sind. Sie debattieren auf zwei Feldern, dem politischen und dem philosophischen – genau genommen ist es nur das politische Feld, denn philosophisch haben sie nichts zu sagen. Zum Thema Philosophie war in einer ihrer Wortmeldungen wenigstens zu lesen, er sei der bedeutendste Philosoph unter den Heutigen. Das wird nicht allen gefallen.
Dass es auch unter marxistischen Philosophen nicht nur Übereinstimmung gibt, ist bekannt und es wäre verwunderlich, sähe dies anders aus. Debattenstoff, Arbeit gibt es also genug. Und einmal zusammen zu kommen, um die gegenseitigen Positionen zu diskutieren – auch wenn man nicht voraussetzen kann, dass da alle Unterschiede aus dem Weg geräumt werden könnten, hätte dennoch der gemeinsamen Sache gut getan. Das muss nun, sollte es zu dieser Debatte kommen, ohne ihn geschehen. Da wird er fehlen!
Was sein politisches Wirken betrifft, so finde ich, dass bei allen Problemen, die es auch gab und gibt, manches an seiner Kritik nicht unbegründet war, dass er sich im Kampf um die Erhaltung der Partei als einer kommunistischen bedeutende Verdienste erworben hat. Ich denke dabei an das erste programmatische Dokument nach der Niederlage des Sozialismus und der damit verbundenen Krise der Partei, an die Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP, die wesentlich sein Werk waren, und natürlich an das Parteiprogramm. Sein Mitwirken in der Autorengruppe und sein Ringen um die Suche nach vertretbaren Kompromissen hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir 2006 unser jetziges Parteiprogramm beschließen konnten. Sehr wichtig waren auch seine beiden Bücher, „Niederlage und Zukunft des Sozialismus“ und „Kommunisten heute“.
In den letzten Jahren hat Hans Heinz die Ernte seines (philosophischen) Lebens in die Scheuer eingefahren, will sagen: Einige grundlegende Bücher zur Philosophie geschrieben, die sich wohl so auf den Zusammenhang bringen lassen: Es gibt zwei große Themen, die sich durch die gesamte Geschichte der Philosophie hindurch ziehen. Da ist einmal die Frage nach der Existenz und dem Charakter des Seins – um für Philosophen verständlich zu reden: die Frage der Ontologie. Und dann das Problem der Bewegung und Entwicklung. Um die beiden wichtigsten Namen zu nennen. Es ging und geht um Heraklit und Zenon von Elea. Aber, da sind wir über zwei Jahrtausende hinweg direkt bei der marxistischen Philosophie angekommen, die diese beiden Entwicklungsstränge zu einer einheitlichen Philosophie auf materialistischer Grundlage vereinigte.
Obgleich wir seine Mitarbeit in den „Marxistischen Blättern“ schon seit einigen Jahren vermissen, sei dennoch an seine früheren Beiträge und die jahrelange Zugehörigkeit zum Herausgeberkreis der Zeitschrift erinnert. Und daran, dass er im Neue Impulse-Verlag nicht nur die beiden oben erwähnten Bücher herausgebracht hat, sondern noch drei weitere: „Sozialismus statt Barbarei“, und zwei Bände „Gesammelte Aufsätze aus 50 Jahren“: „Der Kampf um Frieden und Demokratie“, „Deutsche Ideologie nach 1945“.
Ich bin hier nicht eingegangen auf Hans Heinz Holz’ jahrlange Arbeit in der Internationalen Hegel-Gesellschaft oder jetzt in der Leibnitz-Sozietät, das wären eigens zu behandelnde Aktivitäten gerade auch internationalen Charakters.
Hans Heinz wusste, dass es im Lager der marxistischen Philosophie zu manchen der von ihm behandelten Fragen nicht nur Übereinstimmung gibt. Aber wir sind doch Hegelianer, will sagen: Marxisten und wissen um die Kraft der Dialektik, weshalb wir auch „wissen“, dass der Streit – wie Heraklit einst schon sagte: der Vater aller Dinge, will sagen, auch beim Herausfinden dessen ist, was wir am Ende der Debatte über unsere Philosophie – so sie ein Ende finden sollte – als gemeinsame Position vertreten werden können.
Wir werden noch lange an Hans Heinz Holz denken, auch an so manchen „Streit“, den wir miteinander hatten, der uns aber nicht auseinander brachte, denn wir waren uns stets dessen bewusst: Wir sind Kommunisten, Genossen und arbeiten auf den gleichen ideologisch-politischen Grundlagen.
Ein kommunistischer Gruß dem toten Genossen und Freund, dem sehr verdienstvollen Politiker und Philosophen Hans Heinz Holz auch im Namen von Verlag, Redaktion und Herausgeberkreis der Marxistischen Blätter von seinem etwas älteren Weggenossen
Robert Steigerwald

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